Einzelne Gemeinden in Sachsen-Anhalt sind derzeit bestrebt, Kindertageseinrichtungen in freier Trägerschaft als eigene, kommunale Einrichtungen zu übernehmen und zu betreiben. So hat die Lutherstadt Wittenberg Mietverträge für Kindertageseinrichtungen eines freien Trägers mit Wirkung zum 31. Juli 2022 gekündigt. Weitere Kündigungen sind beabsichtigt. Nach Aussage des Wittenberger Oberbürgermeisters Torsten Zugehör würde die Stadt damit einer Empfehlung des Innenministeriums folgen. In einer Analyse im Auftrag der Stadt habe das Innenministerium 2018 ein Einsparpotenzial von rund 1,7 Mio. Euro pro Jahr ermittelt. Einsparungen wären möglich, wenn die Kommune alle Kitas in städtischen Immobilien in städtische Trägerschaft überführen würde.

Die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Sachsen-Anhalt hat deshalb einen juristischen Faktencheck der Haushaltsanalyse der Lutherstadt Wittenberg vornehmen lassen.

„Aufgrund der juristischen Bewertung sind wir empört über diese Haushaltsanalyse und das daraus folgende Agieren der Lutherstadt Wittenberg. Hier wird versucht, falsche Zusammenhänge zu vermitteln. Den freien Trägern wird indirekt Misswirtschaft unterstellt.“, erklärt Christoph Stolte, Vorstandsvorsitzender der LIGA der Freien Wohlfahrtsverbände im Land Sachsen-Anhalt. Die verwendete Datenbasis ist veraltet. Es werden Vergleichswerte herangezogen, die weder belastbar, noch für Kindertageseinrichtungen relevant sind. Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst oder die Anhebung des Mindestlohns, zum Beispiel im Gebäudereinigerhandwerk, werden außer Acht gelassen. Einsparpotenziale des kommunalen Eigenbetriebes werden abgerundet. Die Erstattungen an freie Träger werden dagegen aufgerundet. In der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung spielen fachlich zwingend notwendige Aspekte keine Rolle. Dabei haben auch Leistungs- und Qualitätsmaßstäbe, die vom Gesetzgeber vorgegeben sind, einen deutlichen Kostenanteil.

Das von Oberbürgermeister Torsten Zugehör öffentlich kommunizierte Einsparpotenzial von 1,7 Mio. Euro bei freien Trägern ist schlichtweg eine falsche Behauptung. Der größte Anteil dieses Potenzials in Höhe von 660.000 Euro liegt in der Erhöhung der Elternbeiträge. Am Ende soll hier auf Kosten der Familien der städtische Haushalt saniert werden.

Von 1.800 Kindertageseinrichtungen in Sachsen-Anhalt befinden sich über 55 Prozent in öffentlicher Trägerschaft. Damit weist Sachsen-Anhalt bundesweit den höchsten Anteil öffentlicher Trägerschaften aus. Gemäß SGB VIII gibt es aber einen Vorrang der freien vor der öffentlichen Jugendhilfe. Diese soll nur dann Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, d. h. auch Kindertageseinrichtungen, betreiben, wenn diese nicht von Trägern der freien Jugendhilfe betrieben werden können. Die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips, das der Staat hinter dem Einzelnen, der Familie, der Nachbarschaft und der organisierten Zivilgesellschaft nachrangig agieren, aber unterstützen soll, verliert hier erneut an Bedeutung.

Oberkirchenrat Christoph Stolte: „Wir erwarten im Interesse der Eltern und Kinder von Land und Kommunen, dass die Sicherung der Bildungsqualität und damit der Zukunftsfähigkeit des Landes zur obersten Priorität erklärt wird. Die gemeinnützigen Wohlfahrtsverbände stehen dafür mit Fachlichkeit und Lösungsvorschlägen zur Verfügung. In Sachen Kita-Qualität müssen endlich alle an einem Strang ziehen.“

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