Seit der Gründung vor über 30 Jahren versteht sich die LIGA der Freien Wohlfahrtpflege im Land Sachsen-Anhalt e. V. als Partner des Landes mit eigenem Gestaltungsanspruch. Wir arbeiten eng mit den Landesregierungen, den Landtagsfraktionen und den kommunalen Spitzenverbänden zusammen, geben Stellungnahmen zu Gesetzgebungsverfahren und in regelmäßigen Gesprächen ab, sind in zahlreichen Gremien aktiv und bringen sozialpolitische Gestaltungsvorschläge ein. AWO, Caritas, Diakonie, DRK, der PARITÄTISCHE und der Landesverband Jüdischer Gemeinden mit ihren zum Teil weit in die Geschichte hineinreichenden Traditionen setzen sich für soziale Gerechtigkeit ein. Gemeinsam stimmen wir Positionen als Interessensvertretung für Hilfebedürftige im Konsens ab. Das Prinzip ist weltweit einmalig und hat bedeutenden Einfluss auf die Sicherung des gesellschaftlichen sozialen Friedens.

Von Betreuungsangeboten für Kinder über Schulen, Krankenhäuser, Reha- und Pflegeeinrichtungen, von Jugendtreffs, Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen, Unterstützungsangeboten für Seniorinnen und Senioren bis zum Wohnen und Arbeiten für Menschen mit Beeinträchtigungen – mit all dem decken die gemeinnützigen Verbände nahezu alle sozialen Leistungen ab, auf die die Menschen in Sachsen-Anhalt gesetzlichen Anspruch haben oder die als zusätzliche Hilfe angeboten werden. Die Wohlfahrtsverbände in Sachsen-Anhalt bieten mehr als 65.000 Mitarbeitenden in über 3.600 Einrichtungen und Diensten im Land stabile Arbeitsverhältnisse. Wir arbeiten Hand in Hand mit über 30.000 ehrenamtlich Engagierten und sorgen gemeinsam für einen von Mitmenschlichkeit und Hilfsbereitschaft geprägten Alltag.

Die Menschen in Sachsen-Anhalt müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Kinder in Kitas und Schulen gut gebildet und begleitet werden, dass sie bei der Pflege ihrer Angehörigen Unterstützung erhalten, ihren Lebensabend in Würde verbringen können und ihnen soziale Teilhabe umfassend gewährt wird. Dass sie die beste medizinische Versorgung erhalten, ist unerlässlich. Dafür braucht es Diskussionen und gemeinsame Entscheidungen zu Zielen und Bedarfen, Planungsmechanismen und zu Leistungsstandards. Damit einhergehen Qualitäts- und Kostendefinitionen für die soziale und bildungspolitische Infrastruktur, unabhängig von Legislaturperioden. Es braucht Lösungen für die Fragen unseres Landes zu Armut, Bildungspolitik, Integrationspolitik, Digitalisierung, Entwicklung der Krankenhauslandschaft, Kinder- und Jugendbildung und -betreuung auf höchstem Qualitätsniveau und zum Klimaschutz.

Aktuell sehen wir folgende Entwicklungen, Herausforderungen und Fragen für das Land Sachsen-Anhalt und für die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker:

Klares Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung unseres Landes!

Der antisemitische Anschlag in Halle 2019 und unzählige verbale Anfeindungen auf den Social-Media-Kanälen gegenüber engagierten Bürgerinnen und Bürgern, Politikerinnen und Politikern, Vereinen und Verbänden überschreiten die Grenzen demokratisch verbriefter und freier Meinungsäußerung. Wir sehen die Grundfeste des gesellschaftlichen Zusammenhaltes erschüttert. Wir stehen gemeinsam für unsere Demokratie ein und stellen uns gegen populistische und antisemitistische Tendenzen in unserem Land.

Die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege mit ihren angeschlossenen Verbänden ist ein Teil der Zivilgesellschaft. Wir stehen täglich im engen Kontakt mit tausenden Menschen in ehrenamtlichen Initiativen, sozialen Einrichtungen und Diensten. Gemeinsam mit ihnen übernehmen wir Verantwortung für Demokratie und Gesellschaft.

Aus dieser Perspektive beschreiben wir, was für das Zusammenleben in unserem Land nötig ist:

  • Verantwortungsübernahme der politischen Parteien durch klare Bekenntnisse und parteiübergreifendes Handeln gegen antidemokratische Entwicklungen in unserer Gesellschaft.
  • Schutz vor Diskriminierung und Förderung von Demokratie und Demokratiebildung auf allen Ebenen. Diskriminierungen müssen erkannt, ernst genommen, vollständig aufgearbeitet und verhindert werden.
  • Stärkung der allgemeinen Gleichstellungspolitik als Querschnittsthema. Menschen können immer noch nicht frei und selbstständig ihre Lebensentwürfe unabhängig davon entwickeln, ob sie männlich, weiblich oder divers sind. Dies kann nur gelingen, wenn Chancen gleich verteilt und für alle dieselben Einfluss- und Teilhabemöglichkeiten vorhanden sind – persönlich, beruflich und familiär.
  • Deutliche Stärkung von Verbänden und Vereinen als aktive Strukturen der Zivilgesellschaft, verknüpft mit der Engagementstrategie des Landes, denn dies ermöglicht demokratische Teilhabe und aktive Mitgestaltung.
  • Verlässliche und erhöhte Förderung der Jugendverbände durch das Land und die Kommunen. Für Demokratie und sozialen Frieden engagierte Jugendliche brauchen konkrete Unterstützung. Frühzeitig und verbindlich müssen sie Chancen zum Mitmachen und Mitgestalten erhalten. Junge Menschen wollen ihre Interessen vertreten wissen. Jugendverbände und -initiativen können entsprechende Kompetenzen am besten an Jugendliche vermitteln.
  • Abgestimmte Migrationspolitik. Die Migrationsdienste und -projekte der Wohlfahrtsverbände sind im Bereich der Flüchtlingsaufnahme und -integration, der beruflichen und gesellschaftlichen Teilhabe und in der Begleitung von Rückkehr ins Herkunftsland mit den Konsequenzen konfrontiert, die aus der zum Teil unausgewogenen Abstimmung der einzelnen Akteure resultieren. Die Wohlfahrtsverbände haben, auch durch ihr Engagement auf internationaler und nationaler Ebene, viel Expertise, um gemeinsam mit Regierung und Verwaltung in Sachsen-Anhalt an einer menschenwürdigen Migrationspolitik zu arbeiten.

Eine kritische Analyse sozialer Realitäten in den Sozialräumen ist nötig. Herausforderungen durch Migration, Demografie und strukturelle Schwächen müssen in den Themen „Bereitstellung von Angeboten zur Daseinssorge“, insbesondere in der Pflege, „Erwerbsmöglichkeiten“, „Digitalisierung“ und „Infrastruktur“ angegangen werden!

Es fehlt bisher an einer durchgängigen Sozialplanung im Land, die zum Beispiel die demografische Entwicklung, die Altenpflege- und die Jugendhilfeplanung bündelt und berücksichtigt. Aktuell vorhandene und künftig zu erwartende Versorgungslücken sind nicht deutlich beschrieben. Dabei sind schon jetzt Versorgungslücken in der Pflege und ein Schwinden der Jugendarbeit deutlich, da die derzeitigen Bedingungen auskömmliche und flächendeckende soziale Angebote nicht zulassen.

Versorgungslücken können sich schließen lassen und soziale Gerechtigkeit im Land kann gestärkt werden durch:

  • die Unterstützung der kommunalen Sozialplanung, die auf aktuellen Daten basiert und perspektivische Bedarfe auch von besonderen Zielgruppen berücksichtigt.
  • die Anerkennung, Einbindung und Unterstützung der Expertise unterschiedlicher Partner bei der Sozialplanung, der Gestaltung des sozialen Umfeldes und der Gestaltung lebenslagenorientierter Versorgungskonzepte.
  • die Förderung der Digitalisierung und den Ausbau der Infrastruktur für mehr Attraktivität des ländlichen Raums. Dabei müssen auch die technischen Ausstattungen in der Kinder- und Jugendarbeit, der Pflege sowie in den Beratungsstellen und die Qualifizierung der Mitarbeitenden berücksichtigt werden.
  • die Schulgeldfreiheit für erzieherische Berufe und die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den sozialen Berufsfeldern (z. B. Personalschlüssel KiTa, bessere Bezahlung in der Pflege).
  • den kostenfreien ÖPNV für Jugendliche und den Ausbau des ÖPNV, damit Angebote in ländlichen Regionen erreichbar werden.
  • die Vollfinanzierung und den qualitativen Ausbau der Angebote der Jugendarbeit und der Beratungslandschaft, um wohnortnahe Angebote zu ermöglichen.
  • eine Migrationspolitik, die auf Integration ausgerichtet ist, die vollständige Teilhabe an allen gesellschaftlichen Bereichen ermöglicht und die Chancen durch Migration für das Land Sachsen-Anhalt nutzt.

Eine vollständige Teilhabe von Menschen mit Behinderung ist noch lange nicht gewährleistet!

Inklusion erfordert ein Umdenken auf verschiedenen Ebenen. Dabei geht es nicht nur um bauliche Barrieren, sondern auch um den Abbau von sprachlichen und haltungsbedingten Hindernissen, um Selbstbestimmung und eine vollständige Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen. Inklusion als Maßstab für politisches Handeln gewährleistet die Teilhabe aller benachteiligten Bevölkerungsgruppen.

Gelingende Inklusion braucht:

  • die Förderung der Barrierefreiheit in der Infrastruktur,
  • den Ausbau der kommunikativen Barrierefreiheit (Leichte Sprache),
  • die Etablierung einer Bewusstseinsbildung und Willkommenskultur,
  • bei allen politischen Entscheidungen das Mitdenken der gleichberechtigten Teilhabe und der Belange von Menschen mit Behinderung.

Armut ist greifbar – Leben in Armut verhindern!

Armutsrisiken haben sich in Teilen der Bevölkerung und in einzelnen Regionen Sachsen-Anhalts signifikant verfestigt und „vererbt“. Sozialpolitik muss an den Ursachen der Armutsgefährdung ansetzen, insbesondere für Alleinerziehende, Langzeitarbeitslose, Familien mit Migrationshintergrund, Menschen mit Beeinträchtigungen oder chronischen Erkrankungen und mittlerweile auch bei alten Menschen.

Armut verhindern bedeutet aus unserer Sicht:

  • Bildungsangebote sollten allen Kindern und Jugendlichen kostenfrei und unbürokratisch zugänglich sein – analog und digital.
  • Langzeitarbeitslosen Menschen muss durch bessere und gegebenenfalls langfristig öffentlich geförderte Beschäftigung eine soziale Teilhabe und Förderung der Erwerbsfähigkeit ermöglicht werden.
  • Familien mit Migrationshintergrund muss ein frühzeitiger Zugang zu Sprachförderung, zu Bildung und zum Arbeitsmarkt ermöglicht werden. Dabei sollten berufliche Qualifizierungen schnellstmöglich anerkannt werden.
  • Einsatz für eine echte Pflegereform, um pflegebedürftige Menschen von notwendigen Kostensteigerungen zu entlasten und vor Altersarmut zu schützen, z. B. als Folge von besserer Entlohnung der Pflegekräfte, der neu eingeführten Ausbildungsvergütung oder bei notwendigen Investitionen.

Würdigung professioneller Sozialarbeit ist überfällig, denn sie ist krisenfest und sichert den sozialen Frieden!

Qualifizierte Fachkräfte, die mit großem Einsatz Hilfe und Unterstützung leisten, sind mittlerweile durch wachsende Anforderungen und mangelnde Ressourcen erschöpft – nicht nur während der Corona-Pandemie. Verkannt wird, dass die Sozialwirtschaft ein entscheidender Wirtschaftsfaktor für unser Bundesland ist. Heute ist der Personal- und Fachkräftemangel in der sozialen Arbeit in Sachsen-Anhalt gravierend.

Dieser Krise einer ganzen Branche kann begegnet werden durch:

  • Überprüfung der Entlohnung in den sozialen Berufsfeldern. Eine angemessene, verlässliche Refinanzierung einer Strukturfinanzierung statt einer Projektfinanzierung muss gewährleistet werden.
  • Anerkennung unterschiedlicher Berufsqualifikationen im Rahmen eines verträglichen Personalmixes im gesamten Sozialbereich.
  • Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den sozialen Berufsfeldern und Schaffung individueller Entwicklungsperspektiven.
  • Einsatz für koordinierte Prüfabläufe, um Doppelprüfungen zu vermeiden und Ressourcen in den Einrichtungen zu schonen.

Ehrenamt und Engagement als Aufgabe der Zivilgesellschaft stärken!

Allein in der Wohlfahrtspflege in Sachsen-Anhalt übernehmen mehr als 30.000 ehrenamtlich Tätige und freiwillig Engagierte soziale Aufgaben. Immer wieder konnten die Menschen dafür begeistert und der Raum für Beteiligung geschaffen werden. Dabei kann aber freiwilliges Engagement nicht die sozialstaatlichen Aufgaben übernehmen.

Freiwilliges Engagement kann unterstützt und ausgebaut werden, wenn:

  • Ehrenamt eine hauptamtliche Begleitung hat, die finanziell untersetzt wird.
  • bestehende Kooperationen in den Regionen bei Bedarf ausgebaut werden.
  • die etablierten Strukturen der gesetzlich geregelten Freiwilligendienste weiterhin Bestand haben und verbessert werden (z. B. kostenfreie Nutzung des ÖPNV).
  • die Rahmenbedingungen für freiwilliges Engagement kontinuierlich gefördert und weiterentwickelt werden.
  • die Anerkennungsvielfalt bedarfsorientiert und regional weiterentwickelt wird.

Ökologische Nachhaltigkeit ist auch Maßstab für das Soziale!

Ökologie und soziale Verantwortung korrespondieren miteinander, beide prägen das Umfeld menschlichen Daseins. Sachsen-Anhalts Wohlfahrtspflege mit ihrem großen Netz von über 3.600 Einrichtungen und Diensten übernimmt dafür Verantwortung, aber Klimaschutz ist in der Refinanzierung sozialer Arbeit in keinem Bereich abgebildet. Finanzielle und organisatorische Rahmenbedingungen für die Umsetzung von Klimaschutz müssen deshalb in allen Bereichen der sozialen Arbeit verbessert werden.

Soziale Einrichtungen und Dienste können und wollen ökologisch verantwortlich handeln. Nötig ist dafür, dass:

  • die Kosten für einen ökologischen und nachhaltigen Einsatz beim Um- oder Neubau von sozialen Einrichtungen und Angeboten förderfähig werden. Auch im Betrieb der Einrichtungen können z. B. Hygienekonzepte mit finanzieller Unterstützung nachhaltiger gestaltet werden.
  • die Digitalisierung im Beratungsbereich durch z. B. Telesprechstunden im Rahmen der medizinischen Versorgung gefördert werden. So lassen sich ökologisch schädliche Kosten reduzieren und das Beratungsangebot kann durch die dadurch erhöhte Formatvielfalt mehr Menschen zugänglich gemacht werden.
  • das Interesse der Kinder und Jugendlichen am Erhalt der Umwelt genutzt wird und entsprechende Lernangebote geschaffen werden.

Lebenslanges Lernen muss gestärkt werden!

Die Corona-Pandemie zeigt, wie wichtig lebenslanges Lernen ist. Alle Generationen sind derzeit in einen sehr schnellen Veränderungsprozess involviert – mit digitalen Bildungsangeboten für Kitas, die Umstellung auf Distanzunterricht in den Schulen, Onlineberatungsangeboten, digitalen Sprechstunden, digitalen Kontaktformaten in der Altenhilfe etc.

Um lebenslanges Lernen zu ermöglichen, sind entsprechende Angebote erforderlich. Dafür braucht es aus unserer Sicht:

  • Entwicklung und Etablierung neuer Lernformen, um Kinder und Jugendliche in ihrer Lebenswelt abzuholen.
  • Fortentwicklung eines gelingenden Übergangsmanagements „Schule-Ausbildung-Beruf“.
  • Ausbau und Förderung berufsbegleitender Angebote.
  • Stärkung der Bekämpfung von Analphabetismus.
  • Vorhaltung bedarfsgerechter Sprachangebote, damit auch für Menschen mit Migrationshintergrund die Teilhabe an Qualifizierung ermöglicht wird.
  • Ausbau der politischen Bildungsangebote.