Am 1. Dezember 2017 führte die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege im Land Sachsen-Anhalt mit Unterstützung des Ministeriums für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung die Fachtagung „Digitalisierung der Wohlfahrtspflege in Sachsen-Anhalt“ durch.

Klaus Skalitz, Vorstandsvorsitzender der LIGA, begrüßte die 100 Teilnehmenden. Er betonte, dass die Digitalisierung in Zukunft auch für die Wohlfahrtspflege eine Rolle spielen wird. „Sie ermöglicht Innovationen und wird etablierte Strukturen in Frage stellen. Sie kann Teilhabe fördern und das Miteinander im Sozialraum stärken. Gleichzeitig birgt sie aber vielleicht Gefahren für die Privatsphäre und die Würde des Menschen. In der Wohlfahrtspflege wird sich das Kommunikationsverhalten der Klienten, Mitarbeitenden und Entscheidungstragenden ändern. Allein daher muss sich die Sozialwirtschaft in ihren Unternehmensstrukturen mit der digitalen Welt befassen.“

Wolfgang Beck führte für das Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration in die Sicht des Landes ein. Laut Beck gibt es für Sachsen-Anhalt besondere Herausforderungen. So fehlen nach aktuellen Berechnungen im Jahr 2025 rund 800 Hausärzte im Land. „Die Telemedizin muss hier einfach unterstützen. Hauptaugenmerk sollte dabei aber sein, Daten wandern zu lassen und nicht Menschen“, so Wolfgang Beck. Ergänzend betont er, dass es in der Pflege einen enormen Fachkräftemangel gibt. Insbesondere fallen aufgrund der schweren Tätigkeiten die Pflegenden frühzeitig aus. „Der Einsatz von Technik sollte hier genutzt werden, um Erleichterungen für das Fachpersonal zu erreichen“, so Beck. Er betont, dass Sachsen-Anhalt aber hier am Anfang steht. Durch das vom Land geförderte Kompetenzzentrum Soziale Innovation sollen zukünftig soziale Innovationen für diese Bereiche entwickelt werden. Hier betont er ausdrücklich, dass technische Innovationen auf soziale Auswirkungen geprüft werden müssen.

Prof. Dr. Kreidenweis, FINsoz e. V. sprach anschließend über die besonderen Herausforderungen, aber auch über die Chancen für die Wohlfahrtspflege. In seinem Vortrag zeigte er anhand vieler Beispiele in welchen Bereichen der Wohlfahrtspflege technische Anwendungen schon berücksichtigt werden, wo Digitalisierung im Alltag der Menschen (so treffen teilweise technische Geräte Entscheidungen für uns, jede fünfte Ehe entsteht aktuell über ein Onlinepartnersucheportal) nicht mehr wegzudenken ist und wo teilweise die Wohlfahrtspflege steht. Er macht sehr deutlich, dass sich „Digitalisierung nicht weghoffen lässt“ und die Unternehmen der Wohlfahrtspflege jetzt Visionen, klare Ziele und Umsetzungsstrategien benötigen. Wichtig dabei ist, dass hier auch finanzielle Ressourcen bereit gestellt und die Mitarbeitenden von Beginn an einbezogen werden müssen.

Im Anschluss stellte Rebekka Heyme vom Zentrum für Sozialforschung Halle e. V. die aktuellen Ergebnisse der Studie „Digitalisierung in Sachsen-Anhalt erfolgreich gestalten vor. Die Studie befasst sich mit der Digitalisierung der Arbeitswelt in Sachsen-Anhalt. In ihrem Vortrag ging sie auf die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitskräfte in Sachsen-Anhalt ein und fokussierte sich dabei auf die Gesundheits- und Sozialwirtschaft.

Dr. Bastian Pelka von der technischen Universität Dortmund ging in seinem Vortrag auf das Spannungsfeld Teilhabe und Ausgrenzung durch Digitalisierung ein. Deutlich wurde die Perspektive und Grundeinstellung – Medien ermöglichen Teilhabe, Digitalisierung ist ein stattfindender Prozess und ein „neuer“ sozialer Raum besteht bereits. Die besondere Herausforderung ist es nun, sich mit den Möglichkeiten und den Risiken auseinanderzusetzen, sie zu begreifen und daran zu arbeiten, um Teilhabe zu ermöglichen und Ausgrenzung zu vermeiden. Er sieht hier für die Wohlfahrtspflege die besondere Herausforderung darin, die bestehenden Mitarbeitenden einzubinden und überhaupt Fachpersonal mit Kenntnissen über den Einsatz technischer Anwendungen zu gewinnen. So wird ein Schwerpunkt in der Zukunft die Berücksichtigung des Themenfeldes in der Ausbildung der unterschiedlichen Berufsgruppen im Gesundheits- und Pflegebereich sein.

Zum Abschluss des Vormittags führte Stefan Haberkorn von Visual Impression die Teilnehmenden in die Möglichkeiten der virtuellen Realität ein. Mit eindrucksvollen Beispielen machte er in seinem Vortrag die Möglichkeiten für die Wohlfahrtspflege deutlich.

Am Nachmittag arbeiteten die Teilnehmenden in Workshops. Hier wurden Impulsvorträge als Diskussionsbasis gehalten und anschließend ein konkreter Blick auf die digitale Situation auf die speziellen Bereiche der Wohlfahrtspflege in Sachsen-Anhalt geworfen. Dabei wurden die Themen Digitalisierung in der Altenhilfe, Behindertenhilfe, Kinder- und Jugendhilfe und der Beratungs- und Unterstützungsangebote bearbeitet.

Im dem Workshop „Digitalisierung der Altenhilfe“, moderiert durch den Staatssekretär Thomas Wünsch, ging vorerst Christof Heusel vom Entwicklungszentrum Gut altwerden auf die besonderen Herausforderungen und Notwendigkeiten der Digitalisierung anhand von Beispielen in der Altenhilfe ein. Peter Löbus von der AOK Sachsen-Anhalt stellte anschließend ein Telemedizinprojekt aus Sachsen-Anhalt vor. Anhand dieser Impulse diskutierten die Teilnehmenden das Thema. Deutlich wurde, dass Zeit für Innovationen benötigt wird. Visionen, Ziele und Strategien müssen durchdacht werden. Mitarbeitende müssen in den Prozess eingebunden werden. Beides ist in der aktuellen Situation des Fachkräftemangels im Pflegebereich eine besondere Herausforderung.

Im Workshop „Digitalisierung der Behindertenhilfe“, moderiert durch Sven Spier von der Diakonie Mitteldeutschland, führte Dr. Thorsten Hinz von der Caritas mit vielen Beispielen in das Thema ein. Hierbei ging er in seinem Vortrag auf die Herausforderungen für Menschen mit Behinderung, die Anforderungen an die bestehenden Einrichtungen und Dienste, die Mitarbeitenden und auf die zukünftigen Aufgaben des Gesetzgebers und der Leistungsträger ein. Ludwig Vogel von der Universität Bielefeld ergänzte die Einführung durch ein sehr konkretes Anwendungsbeispiel in der Behindertenhilfe – Digitale assistive Systeme zur Unterstützung im Alltag. Fazit des Workshops: Viele Möglichkeiten sind schon vorhanden und müssen nun in die Anwendung kommen, finanzielle Mittel müssen eingesetzt und das Thema muss in zukünftigen Verhandlungen berücksichtigt werden. Auch hier wurde die Problematik der Einbindung der Mitarbeitenden diskutiert.

Im Workshop „Digitalisierung der Kinder- und Jugendhilfe“, moderiert von Nicole Anger vom PARITÄTISCHEN Sachsen-Anhalt, thematisierte Prof. Dr. Udo Seelmeyer von der Universität Bielefeld in seinem Impulsvortrag die sich ändernden Lebenswelten der Jugendlichen und die daraus erforderlichen Änderungen der Arbeits- und Organisationskontexte. Jessica Burkhardt vom Verband junger Medienmacher stellte aktuelle medienpädagogische Angebote für Kinder und Jugendliche vor. Deutlich wurden die Angebotsvielfalt, der große Bedarf an weiteren Onlineangeboten und einer notwenigen personellen Anpassung bezüglich der Qualifikationen in der Kinder- und Jugendhilfe. Zusätzlich sehen sich kleine Träger in dem Bereich nicht in der Lage, notwendige Anpassungen allein vorzunehmen. Hier müsste an einer übergreifenden Strategie gearbeitet werden, die das gesamte Bundesland im Blick hat.

Im Workshop „Digitalisierung der Beratungs- und Unterstützungsangebote“, moderiert von Helga Meeßen-Hühne von der Landesstelle für Suchtfragen, erläuterte Heinz Thiery von der Deutschsprachigen Gesellschaft für psychosoziale Onlineberatung in seiner Einführung welche Formen der beratenden Fernkommunikation möglich sind und welche Auswirkungen sie auf Klienten, Beratungsfachkräfte und Träger haben. Jakob Henschel vom Projekt U25 (Online-Peer-Beratung für suizidgefährdete Jugendliche) untersetzte die Einführung durch seine Erfahrungen in der Beratungstätigkeit (zum Vortrag). Deutlich wurde hier, dass eine neue Beratungsform entstanden ist, die allerdings die bestehenden Beratungsstrukturen nicht ersetzen kann. Sie ermöglicht die Erschließung neuer Zielgruppen und das Vorhalten eines Angebots für Menschen, die die Hemmschwelle, eine Beratung aufzusuchen, sonst nicht überschreiten. Benötigt werden aber zum Aufbau dieses zusätzlichen Angebots Qualifizierung von Beratungsfachkräften und finanzielle Ressourcen zum Vorhalten der technischen Notwendigkeiten.

In der tagesabschließenden Diskussionsrunde wurden die Ergebnisse der Workshops präsentiert und gemeinsame Vorhaben formuliert.

Dr. Gerhard Timm von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege ergänzte diese Runde und berichtete von aktuellen Vorhaben der BAG FW in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung (zum aktuellen Papier der BAG FW).

Die Veranstaltung wurde durch den Staatssekretär des Ministeriums für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung geschlossen. Thomas Wünsch wies darauf hin, dass die digitale Agenda des Landes nun in den Anfängen ist, erste Vorhaben und Strategien zum Ende 2017 festgeschrieben wurden und in den nächsten Jahren im Prozess weiter gestaltet werden. Er forderte die Freie Wohlfahrtspflege auf, sich zu beteiligen und machte seine Bereitschaft, weiterhin zu unterstützen, deutlich.

Vorträge: